Bernhard Widmann | www.widmann-arts.de | email@widmann-arts.de
Pressetexte zu GOOD
FOOD
Zur Ausstellung in der Galerie Angelika Harthan, Stuttgart 1999:
Perfekte
Missbildungen
Die Fotoausstellung GOOD FOOD in der
Galerie Harthan
... Die Fotoarbeiten sind bewusste Metaphern unserer
Gesellschaft. Widmann lässt hier die Hierarchie Kopf stehen: Die
Art, wie er uns diese Außenseiter der fruchtigen Gesellschaft serviert,
ist höchst schmackhaft und sinnlich. Frucht und Gemüse in Menschengröße.
Perfekt beleuchtet setzt Widmann Birne und Paprika in Szene und verhilft
ihnen zu einem glanzvollen farbenprächtigen Auftritt vor tiefschwarzem
Hintergrund. Hier wird der Außenseiter zum Mittelpunkt, das Individuelle
zum Star.
Eva Maria Schlosser, Stuttgarter Nachrichten,
31. Juli 1999
Zu dick, zu dünn,
zu faltig
Bernhard J. Widmanns Fotoarbeiten zur Warenwelt
bei Harthan
Manchmal erkennt man Außenseiter daran,
dass sie nicht durchs Raster fallen.
In der gesamten EU schafft es keine einzige Tomate in ein Supermarktregal,
wenn sie nicht vorher durch ein genormtes Loch geplumpst ist; und was
nicht passt, wird umgehend vernichtet. Die wahnhafte Kälte solcher
Selektionsmechanismen hat Bernhard J. Widmann zu der Fotoarbeit "Good
Food" inspiriert, die derzeit in der Stuttgarter Galerie Angelika
Harthan zu sehen ist.
Besucher können im ersten Moment glauben, irrtümlich in einen
"Little Shop of Horror" geraten zu sein. Was sonst possierlich
in Beet und Kübel rankt, ragt hier monumental auf: mannshohe Feld-
und Gartenfrüchte in porenscharfen Abbildungen. Doch dann zeigt sich,
dass die alten Bekannten aus der Frischobstabteilung alle ein wenig aus
der Art geschlagen sind - zu dünn, zu dick, zu faltig, zu üppig,
mit einem Wort: zu anders. In der modernen Warenwelt als wertlos aussortiert,
konnte Widmann bei seinen Recherchen einige dieser Objekte im letzten
Moment vor dem Müllkübel bewahren. Diese Regelbrecher würdigt
der Fotograf nun in monumentalen Bildern. Weiches Tageslicht verwandelt
die unscheinbaren Motive in Skulpturen von eigenwilliger Schönheit
- und man fragt sich unwillkürlich, warum ausgerechnet unsere individualitätsbesessene
Gesellschaft so blind ist für den Reichtum lebendiger Abweichungen.
Andreas Langen, Stuttgarter Zeitung,
21. August 1999
Zur Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, 1999:
GOOD
FOOD
Fotoarbeiten von Bernhard J. Widmann
(1994-2000)
Von der Gefräßigkeit des photographischen
Auges
Visuelle Fakten: Äpfel, Apfelsine, Birne,
Ei, Knoblauchknolle, Paprika, Tomate, Zitrone.
Organische Farben: Orange, Eiklar, Knoblauchweiß, `Zitronenblau´(*),
Feuerröte von Paprika und Tomate, Leuchtkraft der Apfelbäckchen,
Abstufungen von Grün und Braun in den Obststielen.
Bewusste Inszenierung: Reflexe auf glatten Oberflächen, Lichtspiele
auf Orangenhaut,
verletzliche Durchsichtigkeit von Knoblauchhäutchen.
Formale Schönheit: Ausstülpungen, Einbuchtungen, Wucherungen,
Deformierungen.
Paradoxie der Verdopplung: Symmetrie von Großformen im Kleinen.
Photographische Artefakte: Oberflächenglätte der Vergrößerungen
auf klassisches Fotopapier.
Die Bilder von Bernhard Widmanns Zyklus GOOD FOOD (zwischen 1994 und 2000
entstanden) haben als Ausgangspunkt die 1:1 Sachfotografie des 13 x 18
cm Dias bzw. Negativs. "Wie gewachsen" werden uns Natur-Erzeugnisse
präsentiert, die merkwürdig künstlich wirken, gerade weil
auf der formalen Ebene absolute Strenge - eine Art photographische "Natürlichkeit"
- waltet. Puristisch sind die gefundenen Dinge im klassischen Nordlicht
des Tages aufgenommen. Sie stellen sich "wie von selbst" in
ihrer Eigenart dar.
Die Früchte agrarischer Arbeit liegen mit ihren Auswüchsen und
Verformungen zweifellos außerhalb der Zulässigkeit von wie
auch immer gearteten und zu bewertenden EU-Richtlinien. Die Erzeugnisse
entsprechen keinesfalls einer genmanipulierten Norm. Glättende Eingriffe
per `Photoshop´ finden auch nicht statt. Befremdlich zeigen sich
überdimensionierte alltägliche Lebensmittel. Eine uralte Furcht
vor der lebendigen Kraft abweichender Andersartigkeit versteckt sich unter
der Oberfläche unserer technoid geglätteten, gleichförmigen
Nahrungsmittel, deren Standard in der massenhaften Herstellung garantiert
scheint.
Normen spielen sich vor allem im Kopf ab. Das lateinische Wort norma
bedeutet Richtschnur, Regel, Vorschrift. Angepasst, also systemimmanent
heißt: sich innerhalb der Grenzen eines gesellschaftlich definierten
Musters zu bewegen, mit drohender Nivellierung, sowie Verlust des Einzigartigen
und Individuellen durch Anpassung an Systeme. Zuverlässigkeit hinsichtlich
der Gleichförmigkeit und Zulassen von lebendigem Wachsen schließen
einander offensichtlich aus.
Anknüpfend an sein 1996 realisiertes Projekt SYSTEM-IMMANENT wendet
sich Bernhard Widmann genüsslich ganz gewöhnlichen Objekten
der Begierde zu. Mittels Kamera werden sie dingfest gemacht, bevor sie
zum anschließenden Verzehr in Kochtopf oder Bratpfanne landen. Das
gefräßige Auge verleibt sich die bleibenden Bilder ein. Die
riesenhaften, eigenartigen Gebilde - durch die überdimensionierten
Vergrößerungen auf menschlichen Maßstab gebracht - offenbaren
die Schönheit des Makels. Die Photokamera erweitert unsere Wahrnehmungsfähigkeit.
Das Prinzip der Vergrößerung ist genuin photographisch, ebenso
der Hyperrealismus der brillanten Photofarbigkeit. So wird die Skurilität
der Form (als Antinorm) ins richtige Licht gesetzt, Farbe zur Monochromie
verdichtet.
Lustvoll gewürzt mit einer gehörigen Portion Humor, bewegt sich
Bernhard Widmann souverän zwischen Albert Renger-Patzschs "Die
Welt ist schön", der knackigen Sinnlichkeit von Edward Westons
Paprika-Ikonen und Anna & Bernhard Blumes polaroid inszenierten Küchenunfällen.
Mit dem Titel seiner Werkgruppe GOOD FOOD spielt Bernhard Widmann auf
William Wylers Film The best years of our lives an. In dieser Hollywood-Produktion
aus dem Jahre 1946, eine für die damalige Zeit schockierend ernsthafte
und kompromisslos unromantische Darstellung des Themas Andersartigkeit
(drei Freunde, Kriegsheimkehrer, werden von ihrer ursprünglichen
Umgebung nicht mehr aufgenommen), steht der Begriff "Good Food"
symbolisch für alles, was der Norm entspricht. Dieser genügt
heute der gängige Begriff "junk food"; der schlechte (Nach)Geschmack
bleibt.
"Die Welt ist schön, wenn man sie nimmt, wie sie ist",
stellte Robert Musils `Mann ohne Eigenschaften´ fest.
"Die Welt ist schöner", lesen wir in einer aktuellen Werbebroschüre,
mit der ein Vertrieb für Photographiebücher um Kaufinteressenten
wirbt.
C. Gabriele Philipp
(Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg)
*Buchtitel von Mona Winter
Zur Ausstellung auf der ART FRANKFURT, 1999:
Galerie Vayhinger, Radolfzell
... Die zweite Ausstellung in unserem Skulpturen-Zyklus
ist, wie schon erwähnt, Bernhard J. Widmann gewidmet. Widmann, mit
seinen fotografischen Arbeiten innerhalb dieses Zyklusses zu zeigen, war
nie fraglich. Zum Beispiel das Ei, das im Moment in Originalgröße
vor Ihnen liegt (s. Postkarte), erhält durch seine überdimensionierte
"zur Schaustellung" in unserer Galerie eine skulpturale Präsenz,
der man sich nicht entziehen kann. Die Art und Weise, wie Widmann mit
den Gegenständen umgeht, ironisch mit ihnen spielt, hat uns bereits
in Ausstellungen interessiert, bevor wir ihn, den Macher, kennenlernten
...
Helena Vayhinger, Einladung zur Ausstellung
GOOD FOOD, 30. Mai - 12. Juli 1998
Selbstportrait als
Paprikaschote
Mit dem Ei hat alles angefangen. Eine Marktfrau hatte
es ihm nicht aushändigen wollen. Es war ein "falsches Ei".
Ein gefährliches Windei also. Die Händlerin bestand auf Rückgabe
des Corpus delicti. Man vereinbarte eine Leihfrist. Danach wurde es, als
empfindliches Gut verpackt zum Ausgangsort zurückgebracht ... Das
Ei mit der Aura des störenden Außenseiters gab Bernhard J.
Widmann den Anstoß, sich Obst und Gemüse, das durch das Raster
der EU-Norm fällt, vor die Linse zu holen. Für Lebensmittel
mit regelwidrigen Formen, sozusagen ärgerniserregende Sandkörner
im handels- und agrartechnischen Ablauf der Industriezeit, hat der Medienkünstler
eine Obsession. Seine Fotos sind 155 x 210 Zentimeter groß.
Eine rote Paprika trägt eine kleine Schote huckepack. Zwei rote Äpfel
bilden - fast perfekt spiegelbildlich am Stiel - ein Zwillingspaar. Eine
Saftbirne sieht cellulitisch aus. In große Supermärkten kommen
solche Abweichler nicht. So wird beim Kauf auch immer der Blick für
die Norm dressiert. Das Auge, das über Genuss, Wert und Unwert entscheidet,
ist längst einer Kontrollfunktion unterworfen. Der Begriff vom "Naturschönen"
, den wir heute haben, ist ein vollkommen durchorganisierter, stereotyper.
Bernhard J. Widmann ist der fotoanalytische, nicht der moralische Anwalt
für aus der Reihe tanzende Früchtchen. Er nimmt das als Parabel.
Gislind Nabakowski, Frankfurter Allgemeine
Zeitung, 19. Februar 1999
Das Auge isst mit
... Bernhard J. Widmanns großformatige Fotoarbeiten
"Good Food" ironisieren die Rezeptbuch-Fotografie, denn sie
zeigen unmanipulierte, unbearbeitete Aufnahmen von Früchten, Gemüsen,
Eiern, die in ihrer gewachsenen Gestalt so nicht den Brüsseler EU-Normen
entsprechen und üblicherweise ausgesondert werden. Bekanntlich zerbrechen
sich EU-Bürokraten sogar über den Krümmungsgrad von Bananen
oder Gurken den Kopf. Widmann führt uns vor, dass die Wirklichkeit
nicht erst in der digitalen Bildbearbeitung korrigiert und manipuliert
wird, sondern schon im Gewächshaus ...
Jürgen Raap, KUNSTFORUM, Bd. 159,
Essen + Trinken I, April-Mai 2002
Zur Ausstellung in der Städtischen Galerie
Ostfildern, 2003:
Im
Angesicht der Apfelsine
Im Stadthaus: Früchte als
Metapher für das Individuelle
... Die Vergrößerungen auf Menschenmaß
gibt diesen Früchten Stellvertreterfunktion: "Sie sind eine
Metapher für den Menschen", so Widmann. Indem er die Vielfalt
und Eigenart darstellt, verweist er auf den Zwang der Normen in der Gesellschaft,
die Abweichungen und Eigenheiten unterdrücken will, nicht nur bei
Feldfrüchten, auch bei Menschen. So ist die Werkgruppe "Good
Food", deren Fotografien vor allem zwischen 1994 und 1998 entstanden,
seinem Projekt "System-Immanent" über die Einbindung des
Menschen in Systeme inhaltlich eng verwandt ...
Nicola Buhl, Stadtrundschau Ostfildern,
24. Juli 2003
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